Seite - 24 - in Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 - Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
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Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990
Zu den gelegentlichen Grenzgängen entlang der Vorgaben der Hallstein-Dok-
trin gehörten beispielsweise die Zulassung einer „Verkehrsvertretung der DDR“
in Wien 1960, die offiziell jedoch nicht mehr als ein Reisebüro war, und die so-
genannte „Interflug-Affäre“ im Jahre 1963. Bis dahin hatte es zwischen Wien
und Ost-Berlin nur „Bedarfsflüge“ beispielsweise anlässlich der Leipziger Messen
gegeben. Als im Juni 1963 durch die Austrian Airlines (AUA) und die staatliche
Fluglinie der DDR „Interflug“ eine wöchentliche Luftverkehrsverbindung zwi-
schen Wien und dem Ost-Berliner Flughafen Schönefeld aufgenommen wurde,
protestierte nicht nur die Bundesrepublik lauthals, sondern auch die westlichen
Alliierten, die ihr Monopol auf den Flugverkehr mit West-Berlin gefährdet sahen
und in der neuen Verbindung eine Konkurrenz erblickten. Dieses Experiment
musste bald eingestellt werden. Die DDR hatte den Flugverkehr via Neues Deutsch-
land vehement verteidigt und nahm das Auslaufenlassen der Vereinbarung nur
widerwillig zur Kenntnis.76
Die „Interflug-Affäre“ hatte mit der Berlin-Frage eines der heißesten Themen
des Kalten Kriegs in Europa berührt und war zum Scheitern verurteilt worden.
Da solche Aktionen die Ausnahme blieben, war man in der Regel in Bonn mit der
Haltung Österreichs in der deutschen, wie auch in der Berlin-Frage zufrieden.
1964 hielt das Auswärtige Amt würdigend fest, dass die Haltung Österreichs in
der „Anerkennungsfrage“ trotz der „Interflug-Affäre“ und einer starken Aktivität
der DDR sowie einem ständigen „Drängen der Ostblockstaaten“ eindeutig und
unverändert geblieben sei: „Österreich nimmt in der Deutschland-Frage grund-
sätzlich eine für uns sehr positive Haltung ein. Die österreichische Öffentlichkeit
verfolgt alle Ereignisse um Deutschland und Berlin mit lebhafter Anteilnahme.
In ihrer ganz überwiegenden Mehrheit unterstützt sie den Wunsch der Deut-
schen nach Wiederherstellung ihrer staatlichen Einheit.“ Des Weiteren führte
man aus, dass die österreichische Regierung „stets Verständnis“ für die Haltung
der Bundesrepublik „in der Deutschland- und Berlin-Frage“ gezeigt habe.77 Je-
doch war man sich in Bonn der speziellen österreichischen Lage bewusst:
„Die Neutralität ihres Landes legt den österreichischen Politikern jedoch Zurückhal-
tung nahe. In amtlichen Kreisen ist immerhin die Auffassung zu hören, dass eine sowje-
tische Zustimmung zur deutschen Wiedervereinigung in absehbarer Zukunft nicht zu
erreichen sei. Die in der Öffentlichkeit früher verbreitete Vorstellung, dass der ‚Modell-
fall Österreich‘ auch für die Lösung der deutschen Frage anwendbar sei, dürfte heute in
österreichischen Regierungskreisen weniger geteilt werden. Die Auffassung der öster-
Tagesordnungspunkt 8. Vortrag an den Ministerrat „Die Lage der österreichischen Staats-
bürger in der DDR“ (Verschluss!), gezeichnet Kreisky, Wien, 19. Oktober 1962, ÖStA, AdR,
BKA, MRP, 2. Republik Kabinett Gorbach I, Protokoll Nr. 64/Tagesordnungspunkt 8.
76 Zur „Interflug-Affäre“ siehe: Stefan Gron, „Partner DDR“? Zur Entwicklung der bilatera-
len Beziehungen zwischen Österreich und der DDR, Diplomarbeit Wien 2005, S. 26–30. Für
eine Zusammenfassung basierend auf westdeutschen Quellen siehe: Pfeiffer, Nachbarschaft,
S. 187–192.
77 Vorbereitungsmappe Besuch Bundespräsident Adolf Schärf in der Sowjetunion 1964, Ab-
schnitt: Österreich und die Deutschlandfrage, PA / AA, B 26, Bd. 264.
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Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Titel
- Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
- Untertitel
- Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Herausgeber
- Michael Gehler
- Maximilian Graf
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35587-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 792
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990 7
- I. Vorbemerkungen 7
- II. Ausgangsbedingungen und Vorgeschichte: Von der „doppelten Staatsgründung“ zur Perpetuierung deutscher Zweistaatlichkeit (1949–1987) 11
- 1. Die Entwicklung bis zum Entscheidungs- und Zäsurjahr 1955 11
- 2. Gescheiterte Vermittlungsversuche (1958–1963) 19
- 3. Die Entwicklung bis zum Grundlagenvertrag 1972 23
- 4. Österreich, die europäische Integration und die Anerkennung der DDR im Zeichen der Entspannung (1961–1972) 28
- 5. Das Verhältnis Österreichs zu den beiden deutschen Staaten bis zum Bonn-Besuch Honeckers (1972–1987) 32
- III. Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 38
- 1. Österreich und die scheinbare Stabilität des SED-Regimes 38
- 2. Die Grenzöffnung im Kontext der Langzeitentwicklungen und ihre direkten Folgen 43
- 3. Österreichs Annäherungen an das gemeinschaftliche Europa, die Bundesrepublik und die deutsche Frage 50
- 4. „Mauerfall“ und „Wiedervereinigung“: Die Haltung Österreichs bis Ende 1989 63
- 5. Österreich und die deutsche Frage Anfang 1990 75
- 6. Der Einigungsprozess und seine internationale Durchsetzung aus österreichischer Sicht 86
- 7. Österreichs Abschied von der DDR 92
- 8. Österreich, die deutsche Einheit und der Weg nach Europa – Bilanz und Ausblick 95
- IV. Editorische Vorbemerkungen 99